Das soziale Miteinander ist wichtig für die Frage, wie nachhaltig wir sind. Warum das so ist und welche Barrieren die Transformation bremsen, erzählt Dr. Christian Berg, Honorar-Professor für Nachhaltigkeit und Globaler Wandel an der TU Clausthal.
Herr Berg, wenn über Nachhaltigkeit gesprochen wird, dann meistens über Klima und Umwelt. Warum ist die soziale Nachhaltigkeit genauso wichtig?
Es ist der Kerngedanke des Konzepts Nachhaltigkeit, dass Umwelt und Entwicklung zusammengehören. Es gibt ja 17 Nachhaltigkeitsziele der UN, von denen viele die soziale Dimension der Nachhaltigkeit berühren. Das Soziale gehört also ganz zentral dazu, wenn man über Nachhaltigkeit spricht. Zum anderen werden wir aber auch die ökologischen Ziele nicht erreichen, wenn dafür keine Mehrheiten gewonnen werden – und das wird nur dann gelingen, wenn die Transformation auch sozial ausgewogen gestaltet wird.
Aus der Nachhaltigkeitsforschung ist bekannt, dass das soziale Miteinander, der gesellschaftliche Zusammenhalt wichtig für die Frage ist, wie nachhaltig wir sind. Was sind die Gründe dafür?
Das hängt mit der vorigen Frage zusammen. In einer Demokratie braucht es Mehrheiten, um Dinge verändern zu können. Mit der zunehmenden Ausdifferenzierung und den zum Teil völlig unzusammenhängenden Blasen, in denen manche Menschen leben, wird es immer schwieriger, Verständnis für andere Positionen zu gewinnen. Beides zusammen erschwert die Suche nach Kompromissen, die wir für Mehrheiten brauchen.
Der Großteil der Gesellschaft weiß, dass die Welt und wir alle nachhaltiger werden müssen und trotzdem geht die Transformation zu langsam voran. In ihrem Buch sprechen Sie von Barrieren, die Nachhaltigkeit bremsen. Welche sind das?
Oh, da gibt es so viele, dass der Platz hier nicht ausreicht… Ein paar wichtige: die Preise sagen nicht die ökologische und soziale Wahrheit (Marktversagen). Wir haben keine wirklich wirksamen Institutionen für die Lösung globaler Herausforderungen. Unsere Systeme in Staat und Gesellschaft sind träge und schwer zu ändern und benachteiligen oft die jüngere Generation bzw. die künftigen Generationen. Und dann gibt es natürlich – ganz wichtig – große Interessenkonflikte. Viele dreckige Geschäfte werden in einer nachhaltigeren Welt nicht mehr möglich sein – und es gibt leider starke Lobbygruppen, die Veränderungen verhindern wollen, weil sie vom jetzigen System profitieren. Und schließlich gibt es natürlich auch im persönlichen Bereich wichtige Barrieren: wir tun oft nicht das, was wir doch eigentlich für richtig halten.
Und wie lassen sich Barrieren überwinden? Vor allem im Hinblick auf soziale Nachhaltigkeit?
Ich glaube, wir brauchen Prinzipien für nachhaltiges Handeln. Prinzipien, die beim Handeln selbst anfangen und nicht nur über große Ziele reden. Im Sozialen wäre es zum Beispiel wichtig, Veränderungen so zu gestalten, dass die am meisten Benachteiligten die meiste Unterstützung bekommen. Dafür braucht es sozialen Zusammenhalt und eine gerechte Verteilung der Einkommen. Denn wir wissen, dass sehr ungleiche Einkommensverteilungen zu vielen gesellschaftlichen Problemen führen.
Warum lohnt sich soziale Nachhaltigkeit für alle?
Wenn man Menschen am Ende des Lebens fragt, was für sie im Leben gezählt, was sie glücklich gemacht hat, dann stehen soziale Beziehungen ganz oben. Soziale Nachhaltigkeit ist wichtig, weil sie dafür sorgt, dass möglichst jede und jeder ein gutes Leben führen kann – und in so einer Gesellschaft ist das Leben für alle besser. Aber der Nutzen sozialer Nachhaltigkeit kann nicht das primäre Motiv sein, denn soziale Nachhaltigkeit ist schlicht auch eine Frage der Gerechtigkeit.
Was können Unternehmen aber auch jeder Einzelne für mehr soziale Nachhaltigkeit tun?
Unternehmen sollten sich bewusst sein, dass sie enorm von einem funktionierenden sozialen Gemeinwesen profitieren, von Rechtssicherheit, einem guten Bildungsniveau, guter medizinischer Versorgung, alles in allem guter Infrastruktur und guter Verwaltung, gut ausgebildeten und motivierten Arbeitskräften, einer hohen Umweltqualität, tollen kulturellen Angeboten und anderem mehr. Unternehmen sollten sich deshalb als aktiven Teil der Gesellschaft verstehen und etwas zurückgeben. Ansonsten scheint mir dieser Tage besonders wichtig, dass wir wieder einen respektvolleren, achtsameren Umgang miteinander üben, dass wir zuhören, gesprächsbereit bleiben und auch andere Perspektiven zu verstehen versuchen.