Biodiversität ist die Grundlage für unser Leben und Wirtschaften. Prof. Dr. Josef Settele gehört weltweit zu den renommiertesten Biodiversitätsforschern. Im Interview erklärt er, wie es zum Schwund von Arten kommt, wie Artensterben mit dem Klimawandel zusammenhängt und was jetzt passieren muss.

Porträt Prof. Dr. Josef Settele

Woran liegt es, dass in den letzten Jahren das Artensterben und der Schwund von Ökosystemen so rapide zugenommen hat?

An erster Stelle stehen die veränderte Nutzung und Ausbeutung von Land und Meer durch Ackerbau und Viehzucht beziehungsweise Fischerei. Immer bedeutender ist allerdings die Zerstörung der Biosphäre durch den menschengemachten Klimawandel. Steigende Temperaturen und veränderte Niederschlagsmuster bringen viele Spezies an den Rand ihrer biologischen Toleranz und zwingen sie dazu, sich überaus schnell anzupassen oder die angestammten Lebensräume zu verlassen – oder eben auszusterben. Umgekehrt büßen aus dem Gleichgewicht geratene Ökosysteme ihre Fähigkeit ein, Treibhausgase aufzunehmen und zu binden, Wetterextreme zu überstehen und für uns wichtige Ökosystemleistungen wie frisches Trinkwasser und saubere Luft zu erbringen.

Es gibt aber auch noch andere Faktoren wie die Demografie, Wirtschaft und Politik, die sich wechselseitig beeinflussen und indirekt Einfluss auf die Ökosysteme haben. So können zwar umweltpolitische Maßnahmen ökologische Beeinträchtigungen durch ökonomische Fehlentscheidungen abmildern, andererseits schaden etliche wirtschaftliche Anreize wie Subventionen für Fischerei, Landwirtschaft, Viehzucht, Forstwirtschaft, Bergbau oder Energieerzeugung der Natur. Aber auch Naturschutzmaßnahmen wirken sich ungleich aus. Beispielsweise unterstützen manche reiche Länder den Umweltschutz in ärmeren finanziell, um sich damit globale Vorteile wie den Erhalt bestimmter Arten oder der Speicherung von Kohlenstoff zu erkaufen – was allerdings mitunter zu Lasten von Wirtschaft und Gesellschaft vor Ort geschieht.

Wenn zu viele Arten sterben, kann irgendwann das gesamte Ökosystem aus dem Gleichgewicht geraten. Was sind die größten Schäden, mit denen der Mensch rechnen muss?

Vielfältige Ökosysteme sind aufgrund der Vielfalt von Arten wie auch Strukturen und Lebensräumen gegen äußere Einwirkungen wesentlich widerstandsfähiger als eintönige Flächen. Das sind zum Beispiel vielfältige Baumartenzusammensetzung im Wald - zur Vermeidung von extremen Ausfällen bei Dürre oder durch Borkenkäfer. Oder eine vielfältige Zusammensetzung von Wirbeltieren - zur Reduzierung des Risikos der Entstehung von Zoonosen oder auch strukturreiche Agrarlandschaften - die Lebensraum für Bestäuber und natürliche Gegenspieler von Pflanzenschädlingen sein können.

In allen Fällen haben wir mit dem Zusammenbruch funktionierender System zu rechnen. Damit verbunden sind enorme Verluste an Erträgen - agrarisch oder forstlich -  oder auch unsere eigene Gesundheit durch die Gefahr von Pandemien.

Mit welchen wirtschaftlichen Folgen muss man rechnen und wie kann man diese verhindern?

Das zeigt sich besonders plakativ am Beispiel von Bienenvielfalt und Bestäubung. Ihr weltweiter Beitrag zur menschlichen Ernährung weist einen monetären Wert von mehreren hundert Milliarden Euro pro Jahr auf. Dem Verlust an Artenvielfalt können wir hier nur durch nachhaltigere Landnutzung mit weniger Dünge- und Pflanzenschutzmitteln oder Strukturreichtum in der Landschaft begegnen. Beides ist eng mit Nutzungsintensität verbunden und umso leichter zu erreichen, je mehr wir beispielsweise von tierbasierter Ernährung wegkommen.

Wie hängt Artensterben mit dem Klimawandel zusammen?

In Zukunft dürfte der Klimawandel ein zunehmendes und letztlich noch schwerwiegenderes Problem beim Artensterben darstellen als andere Ursachen: Gelingt es nicht, die Arten zu erhalten, verschwinden sie, ehe ihnen die Auswirkungen des Klimawandels etwas anhaben können. Andererseits: Es ist wichtig, dem Klimawandel entgegenzuwirken, damit die Bemühungen um den Erhalt der Vielfalt nicht zunichtegemacht werden. Die Bekämpfung des Klimawandels wie des Artenschwundes kann und muss zusammen angegangen werden – die meisten Aktivitäten zugunsten des Artenerhalts begünstigen auch das Klima!

Was muss jetzt getan werden, um dieser Entwicklung gegenzusteuern?

Es muss jetzt der Verlust von Lebensräumen gestoppt werden. Außerdem geht es darum, dem Verlust von Strukturvielfalt in Wäldern, auf Äckern und in Gärten gegenzusteuern und den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln zu reduzieren. Auch das Zulassen von Chaos in Gärten zählt hierzu.

Was kann die Wirtschaft tun?

All unsere Erkenntnisse zeigen uns, dass letztlich der transformative Wandel in unserem Wirtschaften – national wie international – eine wichtige Voraussetzung für eine nachhaltige Zukunft darstellt. Wir brauchen eine Partnerschaft mit der Natur. Dies umfasst ein besser koordiniertes Vorgehen über Landschaften und verschiedene Sektoren wie Land- und Forstwirtschaft, Verkehr und Planung hinweg. Aber genauso auch eine Partnerschaft der verschiedenen Akteure der Wirtschaft. Wir müssen uns die Frage stellen, ob das Bruttoinlandsprodukt wirklich ein Indikator für Wohlstand ist, oder ob es inzwischen nicht andere Indikatoren sind.

  1. Porträt Prof. Dr. Josef Settele

    Zur Person

    Prof. Dr. Josef Settele gehört zu den weltweit bedeutendsten Biodiversitätsforschern. Er ist Biodiversitätsforscher am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung und hat den globalen Zustandsbericht des UN-Weltbiodiversitätsrat mitverantwortet, eine weltweite Bestandsaufnahme zum Schutz der Natur, ihrer Artenvielfalt und Ökosysteme.