Artenvielfalt kann es nur dort geben, wo es auch eine intakte Natur gibt. Wie sich der Verlust von Arten auf unser Leben auswirkt und was wir alle tun können, erzählt der mehrfach ausgezeichnete TV-Moderator und Wissenschaftsjournalist Dirk Steffens im Interview.

Porträt Dirk Steffens

Herr Steffens, Sie engagieren sich seit einigen Jahren, um das globale Artensterben zu stoppen. Warum ist der Verlust der Arten eines der wichtigsten Themen unserer Zeit?

Nicht eines, sondern das wichtigste Thema. Und das ist so, weil wir ja möchten, dass auch in Zukunft noch Menschen auf der Erde leben können. Ohne Artenvielfalt ist das ausgeschlossen. Unsere Atemluft, unser Trinkwasser, unsere Nahrung, Medizin-Grundstoffe, Klima-Stabilisierung: Das alles gibt es ja nur, weil wunderbarerweise auf diesem Planeten andere Lebewesen existieren, die uns genau das zur Verfügung stellen. Und diese Ökosystemleistungen bekommen wir sogar kostenlos. Von der Photosynthese, ohne die es nicht ausreichend Sauerstoff zum Atmen gäbe, über Mikroorganismen, die Wasser reinigen bis hin zu Pflanzen, die wir essen können und Mooren, die unser CO2 speichern – es ist ganz einfach: Ohne Artenvielfalt keine Menschen.

Wie geht es denn der Biodiversität in Deutschland?

Na ja, ich bin ja ein sehr optimistischer Mensch, aber die Zahlen machen schon schlechte Laune: In unserem Land gibt´s wohl so knapp 60.000 verschiedene Tier- und Pflanzenarten. Im Überlebenskonzern Deutschland ist das also die Gesamtzahl der Mitarbeiter. Ungefähr ein Drittel davon ist mehr oder weniger akut vom Aussterben bedroht. Stellen Sie sich mal ein großes Unternehmen vor, das mit der Nachricht konfrontiert wird, demnächst könnte ein Drittel der Belegschaft kündigen, während gleichzeitig der Arbeitsmarkt völlig leergefegt ist. Da droht der Zusammenbruch. Ein ökologischer Zusammenbruch würde bedeuten: Ernteausfälle, Frischwassermangel, Lebensmittelknappheit, Luftverschmutzung und vieles andere mehr. Kurz gesagt: Das Ende unseres Wohlstandes.

Wieso genießt der Klimawandel in der Bevölkerung eine viel größere Aufmerksamkeit als die Biodiversitätskrise. Wie erklären Sie sich diese Diskrepanz?

Der Klimawandel ist wissenschaftlich schon vor über einem halben Jahrhundert sauber nachgewiesen und erklärt worden. Es dauert halt oft ein paar Jahrzehnte, bis Forschungsergebnisse in der gesamtgesellschaftlichen Debatte ankommen. Das gesicherte Wissen über das Ausmaß des Biodiversitätsverlustes ist deutlich jünger. Das ist der eine Grund. Und der andere: Das Klima ist im Vergleich zur Biodiversität weniger komplex: Eine Atmosphäre, ein Hauptschuldiger. Simpel. Sorry, liebe Klimaforscher, ich weiß, wie komplex Euer Fachgebiet im Detail ist, aber wir können und dürfen das für den praktischen Gebrauch so vereinfachen: Wir müssen das mit den Treibhausgasen in den Griff kriegen, dann wird das wieder. Die Biodiversitätskrise hingegen hat viele verschiedene Ursachen, das reicht von der Art, wie wir uns ernähren, über das Bevölkerungswachstum, die Vermüllung der Welt bis hin zur Ausbreitung unserer Städte. Wenn wir das Artensterben stoppen wollen, müssen wir also nicht nur eine Sache verbessern, sondern im Grunde alle gleichzeitig. Da steht man natürlich erstmal wie der Ochs vorm Berg und fragt sich, wie das denn gehen soll. Aber zum Glück findet sich auf fast jedes größere ökologische Problem auch eine Antwort, die Ökonomie und Ökologie gleichermaßen stärken. Wir haben kein Erkenntnis-, sondern nur ein Handlungsproblem.

Wieso ist der Schutz aller Arten auch für uns Menschen wichtig?

Der Klimawandel stellt in Frage, wie wir leben, das Artensterben stellt in Frage, ob wir leben. Deshalb. Im Grunde ist die Erde ja ein rundes, blaues Raumschiff, das mit seiner Besatzung durchs kalte und lebensfeindliche Weltall rast. Und wie jedes anständige Raumschiff hat auch die Erde eine große, komplizierte Maschine mit Millionen Bauteilen an Bord, die für die Besatzung Luft, Wasser und Essen produziert. Gut 8 Millionen Bauteile, sagt der Weltbiodiversitätsrat der UN. Sie heißen Elefant, Fadenwurm oder Schleimaal. Und von diesen 8 Millionen sind weltweit eine Million vom Aussterben bedroht. Jeden Tag verschwinden ungefähr 150! Das ist das schlimmste Artensterben seit dem Verschwinden der Dinosaurier. Wieso der Schutz der Arten also wichtig ist? Fragen Sie die Dinos, die kennen die Antwort. 

Was können Städte für Artenvielfalt tun und was wäre in ländlichen Regionen wichtig? Was kann jeder einzelne tun?

Die Städte müssen grüner werden, da gibt es auf der Welt schon faszinierende Beispiele von hängenden Gärten, begrünten Fassaden, großen Parks bis hin zu den Privatgärten und Balkonen, die artenfreundlich gestaltet werden können. Auf dem Land müssen wir Bauern und Bäuerinnen die Mittel in die Hand geben, die sie brauchen, um von Landwirten zu Landschaftspflegern zu werden. Da geht es natürlich auch um Geld und klüger eingesetzte Subventionen. Aber das ist wichtig, denn die altmodische Chemie-Großmaschinen-Landwirtschaft ist in Deutschland ohne Frage der größte Treiber des Artensterbens. Und sie produziert für unsere Volkswirtschaft jedes Jahr hohe Milliardendefizite. Da brauchen wir Innovationen wie etwa die Digitalisierung des Landbaus, um effizienter zu werden. Und jeder einzelne kann auch viel machen: Ob im Supermarkt, bei der Urlaubsplanung, der Auswahl des Druckerpapiers, beim Mülltrennen oder der Auswahl des Dienstwagens: Jeden Tag trifft jeder von uns eine Menge Entscheidungen, die etwas mit Nachhaltigkeit und Artenvielfalt zu tun haben. Die Summe dieser Einzelentscheidungen kann alles verändern, stellen Sie sich nur mal vor, alle, die es sich leisten können, würden ab sofort nur noch Bio-Lebensmittel kaufen: Die Landwirtschaft wäre schon nächstes Jahr ein völlig andere. Und man bräuchte dafür weder Verbote noch Vorschriften oder schmerzhaften Verzicht. Der erste Schritt dahin ist aber die innere Einstellung. Meine lautet: Es gibt zum Optimismus keine vernünftige Alternative.

  1. Porträt Dirk Steffens

    Zur Person

    Dirk Steffens ist Wissenschaftsjournalist und arbeitet als freier TV-Autor, Moderator, Dokumentarfilmer und Produzent für verschiedene Hörfunk- und Fernsehsender. Er engagiert sich für den Umweltschutz bei unterschiedlichen Vereinen und ist Buchautor. Im Dezember 2017 gründete Steffens mit seiner Frau die Biodiversity Foundation. Diese informiert über das globale Artensterben. Seit Ende 2016 ist er UN-Botschafter für Biodiversität.